Der Streit um den Genossen Wolff / Vorspiel – Text – Nachspiel

Der Sprecher der Pankower PDS-Basisorganisation 12 hatte mich gebeten, für den Pankower Spiegel ein kurzes Porträt über den verstorbenen Genossen Helmut Wolff zu schreiben. Kann man mit wenigen Zeilen ein Jahrhundertleben zeichnen? Ich versuchte es. Warum? Helmut Wolff bedeutete mir und meinen Kinder etwas. Er hatte mir gerade erst Episoden aus seinem Leben erzählt. Die habe ich aufgeschrieben. Der von ihm noch redigierte Text, vielleicht seine allerletzte Arbeit, wird nun postum in der Utopie kreativ erscheinen.

Warum hatte ich eigentlich das Gespräch gesucht? Aus Neugier auf Leben. Ich wollte verstehen, warum gerade er immer verbitterter wurde, die DDR-Zeit unentwegt als seine glücklichste pries und die heutige Gesellschaft ausschließlich als Horror verdammte, warum er – abgesehen von den Hemmnissen durch Altersbeschwerden – überhaupt keinen Zugang zu heutigen konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mehr fand, auch nicht innerhalb der PDS.

Was ich in den Gesprächen entdeckte, war eine reiche Persönlichkeit, die sich oberflächlichen Erklärungen entzog. Helmut Wolff konnte in ebenso lebendig-konkreter wie philosophischer Weise über seine Zeit und seine eigenen Widersprüche plaudern. Ich verstand, aus welcher tiefen Menschenfreundlichkeit heraus er handelte und dabei sehr unterschiedliches, nicht nur Freundliches tat. Und ich fand eine Erklärung für das für mich erstaunlichste Phänomen: Nach der Wende, auch in der aufgeregtesten, polarisierendsten Zeit, begegneten auch diejenigen Menschen, die die gesellschaftlichen Ordnung, die er einschließlich ihrer unsäglichen Züge offen und leidenschaftlich verteidigt hatte, gerade ihm mit unverminderter Achtung und Freundlichkeit. Warum ihm und nicht auch den vielen anderen, die statt dessen eher gejagt wurden?

Unter vielen Gründen das Entscheidende: Eine unmittelbare Menschlichkeit wie die des Helmut Wolff, eine Lebendigkeit, die sich letztlich in kein Dogma, in keine Bürokratie einpaßt, die, wenn es offene Menschenfreundlichkeit verlangt, auch ruppig gegen Funktionäre und Obrigkeitsstrukturen agiert und dabei wirklich Neues, Menschennützliches, hervorbringt – etwa sein Lebenswerk, die Schülerlotsen vom Kurt-Fischer-Platz – , solch menschliches Wirken wird geachtet und gesucht. Über alle weltanschaulichen sowie politischen Gegensätze hinweg konnte Wolff so Gemeinschaftlichkeit schaffen, Projekte starten und Jahrzehnte mit Spaß durchhalten.

Ich habe mir das Leben des Genossen Wolff wahrlich nicht schön geredet und er selbst tat das auch nicht. Nicht trotzdem, sondern gerade deshalb fand ich für mich überraschend in ihm ein lebendiges Bild für das, was ich mir nach der Wende mühselig im Durchdenken der eigenen Geschichte, in einer Jagd durch die unterschiedlichsten Theorien, in vielen Diskussionen mit offenherzigen, selbst fragenden Menschen sowie nach ernüchternden Erfahrungen unter den neuen Funktionären erarbeitet hatte: In solchem Charakter, in solchem Wirken steckt zehnmal mehr Sozialismus als in allen unvermeidbar hierarchischen Parteistrukturen, Wahlerfolgen und Parlamentsfraktionen. Ich weiß, viele meiner GenossInnen, die um Einfluß innerhalb der Strukturen der bürgerlich-kapitalistischen Demokratie ringen, demzufolge in deren Kategorien denken und mit dementsprechenden Erfolgen die ganze Partei und ihre Anhänger darauf ausrichten, meiden solche, das Politmanagement störenden Erkenntnisse. Das macht sie mir gegenüber immer fremder und mich in der Partei immer einflußloser. Zugleich werde ich aber gegenüber solchen Mentalitäten, die schon heute menschliche Gemeinschaften tragen können, immer offener.

Nun, wir leben nicht in der Zeit einer großen Stabilität und kein Mensch weiß, welche Ereignisse auch die jetzigen verkrusteten Staatsstrukturen und Parteihierarchien, die der PDS eingeschlossen, wieder einmal zum Tanzen bringen. Dann jedoch werden Menschen mit den genannten Eigenschaften des Genossen Wolff von großer Bedeutung sein. Sie und nicht diejenigen, die heute im Polit-Clinch um die Macht befangenen sind und sich entsprechend verbiegen, könnten dann vielleicht auch eine wirkliche sozialistische Gesellschaft begründen, die nur von selbstbestimmten Menschen und nicht von irgendwelchen Herrschaftsstrukturen formiert werden kann.

Genosse Wolff war in diesem Sinne auch ein Mann der Zukunft, einer näheren oder auch sehr fernen, in der nach den Herrschaftsstrukturen der DDR auch die der Bundesrepublik infrage gestellt werden. Ich bin nicht nur froh, daß ich ihn so kurz vor seinem Tod noch näher kennenlernen konnte. Ich sehe es auch als eine angenehme Pflicht an, möglichst viele Menschen mit seinem widersprüchlichen Leben bekannt zu machen.

Deshalb also schrieb ich für den Pankower Spiegel den nachfolgenden Text. Deshalb brachte seine Tochter, die dies Anliegen gut verstand, extra Bilder ihres Vaters von Adlershof nach Pankow. Und deshalb bin ich betroffen von dem, was sich dann abspielte und dazu führte, daß in dieser Zeitung nichts an den alten Wolff erinnert. Wieder ein Beleg für eine Erfahrung: alte Prateistrukturen und lebendiges Leben passen nicht zusammen.

 

 

 

Helmut Wolff

1917 – 2000

 

Am Schluß schien die Welt ihm wieder die alte: Reichtum, Armut, großes Geld, Ohnmacht, Scheinheiligkeit und wieder Krieg. Die DDR wie Unrat weggeworfen. Warum nur? Die immer gleiche Frage vertrieb seine Heiterkeit, legte sich wie ein Fels auf das nun gebrochene Herz.

Das war sein erstes Leben: Seine Mutter eine strenge Babtistin; Armut, Post-Lehre bei einem sozialdemokratischem Ersatzvater, wie dieser zog er mit völkischem Gefühl in den faschistischen Krieg; krank, mit einem schmachvollen EK II zurück, die Familie ausgebombt. Ein Kommunist gewährte Ablaß: "Arbeite für Gleichheit, soziale Sicherheit, allgemeine Bildung und Menschenfreundlichkeit, das ist echte Wiedergutmachung."

Und so, unermüdlich menschennah wurde er zum Genossen Wolff, dem ABV, in Niederschönhausen toleriert, von vielen geachtet und von Schülergenerationen geradezu geliebt. Seine glücklichste Zeit: 30 Jahre Junge Verkehrshelfer am Kurt-Fischer-Platz, kein Unfall mehr, sonntags Fußball mit "seinen" Kindern in der Heide, NAW, Wahleinsätze, immer auf Trab, kein Karrieretyp, kein Bürokrat, im Zweifel für die Menschen, auch widerspenstig gegen Vorgesetzte.

Für sein Land war ihm fast jedes Mittel heilig. "Alle sollen wissen, das war die Lehre aus meinem ersten Leben." So sein Wunsch. Als seinesgleichen dann gejagt wurden, viele sich verkrochen, lief Helmut Wolff weiter durch die Straßen. Niemand konnte ihm erklären, was an seinen Mühen und Freuden verbrecherisch gewesen sei. Auch die Bohley nicht, die auf seine fragenden Briefe hin jammerte, sie habe doch nur eine bessere DDR gewollt.

Ja, seine alte Gläubigkeit an selbsternannte Führer war hin und die neuen Herren und Speichellecker ekelten ihn an. Auswege sah er nicht. Bis zum Schluß aber glaubte er: Es gibt immer wieder Menschen, denen der Nachbar nicht egal ist, die begreifen, daß sie letzlich nur glücklich sein können, wenn sie sich gemeinsam darum mühen. Was auch immer die DDR-Oberen taten, er handelte nach diesem eigenen menschlichen Sozialismusbild. Helmut Wolff stand noch oft mit Handzetteln vor der Kaufhalle.

Warum erntete gerade er Freundlichkeit und nie einen bösen Blick? Auch darum.

 

Ulrich Weiß

485 66 47

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorläufiges Nachspiel

Ob dieser zusammengepreßte Text (Klaus Gloede: "Für H. Wolff können wir nicht mehr Platz zur Verfügung stellen als für St. Hermlin.") gelungen ist, kann ich selbst schlecht einschätzen. Die Redakteure H. Schuster und M. Wilczynski jedenfalls fanden ihn nicht nur um vier Zeilen zu lang sondern inhaltlich und stilmäßig schlecht. Das ist ihr gutes Recht. Meines allerdings auch, über ihre Gründe und einen durchaus denkwürdigen Dialog zu informieren. Zunächst wurde ich belehrt, daß sie für die Zeitung nur Fakten und keine Gefühle brauchen. Das wollte ich nicht akzeptieren, geht es doch um einen gestorbenen Menschen und nicht um eine verschrottete Maschine. Trotzdem bemühte ich mich kooperativ um Kürzungen, wollte wenigstens mitreden bei ihren bereits ungefragt begonnenen Änderungen. Das lief dann so:

"Die DDR wie Unrat weggeworfen, raus." "Einverstanden."

"Legte sich wie ein Fels auf das nun gebrochene Herz, raus." "Das sind zwar Helmuts Worte, aber einverstanden."

"Ablaß, das klingt religiös, das hat hier nichts zu suchen. Das ruft den Eindruck hervor, die Kommunisten hätten die Menschen für ihre Zwecke ausgenutzt." "Nein, das ist wichtig für sein ganzes Leben. Der Wolff hatte tatsächlich so etwas wie eine Gläubigkeit wie wir mehr oder weniger ja alle. Es ist einfach wahr, daß er und viele Menschen froh waren, das von ihnen mitgetragene Faschistische, also Schuld dadurch loszuwerden, daß sie einem neuen Ziel folgten. Ablaß ist genau das richtige Wort dafür. Außerdem, was immer daraus geworden, für Gleichheit, soziale Sicherheit, allgemeine Bildung und Menschenfreundlichkeit arbeiten zu wollen, das ist ja wohl nicht schlecht. Oder? Das bleibt."

"Das ist echte Wiedergutmachung." "Ja, raus."

"Sonntags Fußball mit ‘seinen’ Kindern in der Heide." "Das muß bleiben. Das ist neben der AG Junge Verkehrshelfer vielleicht das Einzigartigste im seinem DDR-Leben."

"Aber die Leute wissen doch, was gemeint ist, wenn da steht: Er war kein Karrieretyp, kein Bürokrat."

"Nein, schmeißt dann lieber kein Karrieretyp, kein Bürokrat raus. Warum? Kennt ihr denn jemanden, der von sich meint, er sei ein Karrierist und ein Bürokrat, den eine solche allgemeine Behauptung zum Nachdenken anregen würde? Fast alle Menschen, die in Worten Bürokratie verurteilen, könnten bei der Lektüre glauben: ‘Ich war in dieser Frage auch so wie der Wolff.’ Angesichts der konkreten Wolffschen Sonntagsbeschäftigung haben sie aber gesagt oder gedacht bzw. tun sie’s heute noch: ‘Hat sich ein Dummer gefunden, schön blöd.’ Nicht, wer glaubt, selbst kein Bürokrat zu sein, ist schon deshalb keiner. Wer aber auf die Weise wie der Wolff die Kinder von der Straße holt, der ist ganz gewiß keiner. Dieses Bild sagt also mehr als alle Begriffe. Das bleibt. Dafür lieber kein Karrieretyp, kein Bürokrat raus. Zwei Zeilen sind es ja nun schon weniger."

"Für sein Land war ihm fast jedes Mittel heilig. Raus."

"Nein, das bleibt stehen."

"Das muß raus."

"Warum denn bloß?"

"Das stärkt doch nur die Vorwürfe, wir hätten mit allen Mitteln gearbeitet."

"Haben wir doch auch oder etwa nicht. Und der Wolff hat sich dazu bekannt."

"Nein, das darf man nicht so sagen. Das kommt raus."

"Nein, das bleibt, außerdem habe ich hier geschrieben: f a s t alle Mittel. Das war das Leben. Und nicht nur seins. Da dürfen wir uns nicht feige trücken. Wenn ich das rausnehme, wird der ganze Text falsch, eine einzige Lobhudelei. Das ist Geschichtsfälschung. Das hat er nicht verdient. Und das ist mit mir nicht zu machen, jedenfalls nicht mehr. Entweder der Satz bleibt oder ich ziehe den ganzen Text zurück."

"Das kommt raus."

"Schluß jetzt. Ich passe nicht in eure Hofberichterstattung und der Wolff auch nicht. Das war’s. Her mit der Diskette."

Klaus Gloede saß im Nachbarzimmer, zu dem die Tür offen stand. Er sagte nichts. Ich ging. Texte zu H. Wolff erscheinen nun woanders, nicht im zensierten Pankower Spiegel.

Ulrich Weiß 485 66 47